„Tags Arbeit – abends Gäste, saure Wochen – frohe Feste!“
-ist DAS nicht eine tolle Überschrift, in der ich mich zumindest immer noch wieder finde! Natürlich ist dieser nette Spruch nicht von mir, aber natürlich stammt er aus der Feder einer LandFrau – einer Rader LandFrau. Vielleicht haben ja auch mehrere daran gefeilt, so wie wir heutzutage ja auch gerne gemeinsam unsere Ideen verwirklichen. Dies war Anfang 1951 das Motto eines geselligen LandFrauen-Nachmittags hier in Rade im vollbesetzen Saal im Gasthof der Marschen mit Theater- und Gesangsaufführungen, und einer Lesung der, vielleicht einige noch bekannten, Nordbremer Autorin Alma Rogge.
In den letzten Tagen und Wochen habe ich mich ein bisschen eingelesen in die Geschichte unseres Vereins, aber auch der LandFrauen Bewegung insgesamt. Ich habe dabei viel Altes gesichtet, bin dabei aber auch immer wieder auf altbekanntes und vertrautes gestoßen. So vieles hat sich in 75 Jahren verändert und ist doch gleich geblieben!
So habe ich euch z.B. hier unsere diesjährige und somit 75. Verbandsmeldung mitgebracht – wie es sich im Jahre 2024 gehört, papierlos auf meinem Laptop. Einmal im Jahr erstatten wir dem Landesverband in Hannover einen Bericht über unsere Mitgliederzahlen und Aktivitäten. Barbara und ich haben uns vor knapp drei Wochen vormittags daran gesetzt - wir haben ja extra ein Computerprogramm, das uns diese Arbeit erleichtern soll… Wir oder besonders ich hadern ein bisschen mit diesem digitalen Helfer, aber da geteilte Mühe halbe Mühe ist, hatten wir dann durchaus unseren Spaß und um 12.53 Uhr ist per Knopfdruck unsere Bericht durch das Worldwide Web nach Hannover „geflogen“. Und hier habe ich euch nun die aller erste Verbandsmeldung des LandFrauenvereins Rade und Umgebung mitgebracht: am 13.6. 1949 auf einer Schreibmaschine und mit Durchschlag getippt und mit der Post nach Hannover zum Landesverband geschickt – uns ist nur der dünne Durchschlag geblieben; ob das Original wohl noch in Hannover im Archiv ist?
Ebenso auf meinem Laptop habe ich das Protokoll unserer letzten Mitgliederversammlung am 15.3. 2023 und ich habe hier das Protokoll der allerersten Versammlung - fein säuberlich mit Füller und in akkurater Sütterlin-Schrift am 24.2.1949 auf die erste Seite eines Schreibhefts geschrieben.
So verschieden und doch so gleich… Wir können heute 170 Mitglieder zählen und von knapp 20 Veranstaltungen berichten. 1949, im ersten Jahr konnten 13 Mitglieder gezählt werden und es wurde über 4 Vortragsveranstaltungen und eine Tagesfahrt berichtet. So gleich und doch so verschieden. Beides, Verbandsbericht und Protokoll wurden damals, genau wie heute von der Schriftführerin verfasst, die heute, genau wie damals - die einzige Lehrerin in der Runde ist!
Wie es wohl wäre, wenn wir unsere Vereinsschwestern von damals in ihrer Zeit besuchen könnten – wenn wir in diesen tiefen „Brunnen der Vergangenheit“ wie es der große Thomas Mann genannt hat hinabsteigen könnten? Vieles würden wir zurück lassen müssen auf unserem Weg: als erstes und ziemlich schnell meinen Laptop und den Vereinsmanager und die WhatsApp Gruppen. Und dann, nachdem wir mehr als 50 Jahren hinab gestiegen sind, würden dieser Ort hier, dieses Dorfgemeinschaftshaus verschwinden und wir würden uns fortan in Rade im Gasthof der Marschen versammeln, was dann auch gar nicht so schlimm wäre, weil unsere Mitgliederzahl auch stetig zurück ginge. Und es würde im wahrsten Sinne eine Brücke hinter uns abbrechen und die Landfrauen vom Harriersand dann nicht mehr zum Verein gehören. Es würde aber auch Liebgewonnenes wieder auftauchen… wie z.B. der Tischgong, der über viele Jahre ein Begleiter bei vielen Sitzungen war (übrigens auch einmal Geschenk bei einem LandFrauen Jubiläum – zum 10 jährigen 1959 überreicht von den Meyenburger Landfrauen). Wir würden unsere Gegend hier kaum wieder erkennen, uns aber bestimmt über das viele Grün, die vielen Äcker und Weiden und Wälder freuen. Es würde immer weniger Verkehr geben und die Straßen wären zwar schlechter ausgebaut und von Straßenbeleuchtung ganz zu schweigen, aber es wäre auch viel ruhiger.
Und dann wären wir angekommen im Rade des Jahres 1949 – der 24.Februar war damals ein Donnerstag und es war winterlich nass-kalt mit Schlackerschnee – so berichte es uns 1989 meine Schriftführerkollegin von damals, Katharina Dremel – Frl. Dremel, wie sie sich auch selber in den alten Unterlagen nannte. Sie war die Lehrerin mit der akkuraten Sütterlin-Schrift, die das erste Protokollheft für uns angelegt und geführt hat. Als Leiterin der Mädchenabteilung der gerade wieder eröffneten Landwirtschaftsschule in Osterholz, war sie schon im Vorjahr von der vorläufigen Landwirtschaftskammer in Hannover mit der Gründung von Landfrauenvereinen beauftragt worden. Ihre Ansprechpartnerinnen sollten dabei zunächst vor allem die Hauswirtschaftsmeisterinnen auf den Höfen sein, die mit der Landwirtschaftsschule und mit Frl. Dremel zusammenarbeiteten. Hier bei uns war das zunächst vor allem Emmi Stegie, die „mächtig die Werbetrommel rührte“ wie es hieß. Besonders groß war die Begeisterung zunächst nicht - ein erstes Treffen im Advent 1948 war im Sande verlaufen. Ich frage mich sowie so, woher in jenen Tagen die Motivation kam einen Verein zu gründen? So vieles war in jenen Jahren vorläufig oder gerade erst wiedererstanden – vieles uns so vertrautes gab es in diesem Februar 1949 noch gar nicht: seit einem halben Jahr erst gab es die D-Mark und auf den Tag genau drei Monate später, am 24.5.1949 wurde die Bundesrepublik gegründet. Seit nicht mal 4 Jahren war der II. Weltkrieg zu ende, 7 Jahre Krieg hatten Leid und Zerstörung über unzählige Menschen und Länder gebracht… Nicht mal 40 km entfernt, liegt zu der Zeit Bremens gute Stube – der Marktplatz und noch vieles mehr in Trümmern. Die uns so vertraute Stadt bietet ein Bild der Zerstörung, wie wir es heute nur aus den Nachrichten aus der Ukraine oder aus dem Nahen Osten kennen. Und da brauchen die Frauen auf dem Land, die Landfrauen einen Verein? Ich glaube es war eher umgekehrt: dieses Land brauchte die Frauen, die LandFrauen und im Verein waren sie damals wie heute umso schlagkräftiger. Der verlorene Krieg hatte unsere Gesellschaft vor ganz neue Aufgaben gestellt. Allein in Bremen waren durch die Bombenangriffe 65 000 Wohnungen zerstört und die verbliebenen Städter strömten in das Bremer Umland. Etwas 5000 neue Einwohner nahm der Landkreis Osterholz damals aus Bremen und anderen zerstörten Großstädten auf. Hinzu kamen an die 25 000 Geflüchtete und Vertriebene aus den verlorenen Ostgebieten. Sie alle mussten empfangen, untergebracht, versorgt werden. Viele Männer waren gerade erst von den Fronten zurückkehrt, oft noch versehrt und fürs Leben gezeichnet; andere Familien warteten noch immer auf ihren Vater, Bruder oder Mann – so viele kehrten nie nach Hause und auf die Höfe zurück. Es war „die Stunde der Frauen“ wie es Christian Graf von Krokow in seinem berühmten Buch über die Jahre 1944-47 in Pommern nennt – auch und ganz besonders die der LandFrauen (ich glauben, das können wir uns alle gut vorstellen) Und so hat es auch schon gleich im Frühjahr 1946 erste Bestrebungen gegeben Frauen zusammen zu bringen, um sie in den Aufgabenbereichen Hauswirtschaft, Familie und Gesundheit zu beraten und weiterzubilden. Besonders die Württembergische Gutsbesitzerin Marie-Luise Leutrum zu Ertingen setzte sich mit viel diplomatischem Geschick, Klugheit und wohl auch Charme bei den amerikanischen Besatzern Vorort für die Wiederaufnahme der Landfrauenarbeit ein. Eigentlich war im Nachkriegsdeutschland die Vereinsgründung strikt verboten, um die nationalsozialistischen Strukturen zu zerschlagen bzw. deren Auferstehen zu verhindern, dennoch stimmten die Amerikaner im Rahmen ihrer „Reeducation“ (zu Deutsch „Umerziehung“) den Ideen von Gräfin Leutrum zu und schon am 20. April 1946 kam es im nordwürttembergischen Ort Alfdorf zur Gründung des ersten LandFrauenvereins im Nachkriegsdeutschland und schon ein Jahr später gründete sich der Landfrauenverband Baden-Württemberg mit Marie-Luise Leutrum an der Spitze. Bereits 1948 dann schwabbte die Landfrauenbewegung auch in den Norden und schon am 7. Juli 1948 wurde in Hannover unser Niedersächsischer Landesverband gegründet und am 20.Oktober 1948 dann auch schon der Deutsche LandFrauenverband mit Marie-Luise Leutrum zu Ertringen als Präsidentin. Es heißt Gräfin Leutrum bat darum die Landfrauenarbeit wieder aufnehmen zu dürfen bzw. wollte an Bestehendes anknüpfen und auch Katharina Dremel brachte zur ersten Versammlung hier in Rade 1949 extra die damalige Geschäftsführerin des NLV, Ria Seelbach aus Hannover mit, die den Anwesenden aus der Geschichte der Landfrauenbewegung erzählte, an die man anknüpfen wolle. Es muss sich dabei, aber um einen Frauenbewegung völlig frei von nationalsozialistischen Einfluss und Gedankengut gehandelt haben, sonst hätten die Alliierten diese Neugründungen niemals zugelassen. Und richtig, wenn wir in unserem Bild von Reise in die Vergangenheit bleiben und nun auch noch weiter hinter 1945 zurückgehen, dann gibt es in den 12 Jahren der Nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland absolut keine Landfrauenvereine und auch nichts, was uns heute vertraut und lieb und teuer ist in und an unserem Verein. Einzig das Wort „Landfrau“ findet sich auch in jener Zeit, nämlich als Titel einer Monatszeitschrift für Frauen. Aber dann ab dem Jahr 1932 und dann zurück bis ins 19. Jahrhundert ist sie (wieder) da: unsere Biene und mit ihr 25 Landes- und sog. Provinzialverbände und 2458 Kreis- und Ortsvereine. Die Landfrauen haben in den 1930er Jahren 137 eigene Verkaufsstellen eingerichtet und 93 Eiersammel- und –verkaufsstellen. Allerdings heißen wir nun nicht mehr Landfrauen, sondern die Zusammenschlüsse derer, die unter dem Zeichen der Biene zusammenkommen und aktiv sind, heißen nun „Landwirtschaftliche Hausfrauenvereine“ und ihre Gründerin und Präsidentin ist seit 1898 die ostpreußische Gutsherrin Elisabeth Boehm.
Über sie und die Gründerjahre und die Ziele und Statuten und anderes mehr der L.H.V. ließe sich nun so vieles berichten (ich habe ein ganzes Buch dazu) – aber ich glaube für heute müssen wir dringend zurück in unsere Gegenwart. Wie so oft geht die Rückreise viel schneller als Hinfahrt: wir lassen Elisabeth Boehm und ihre vielen Mitstreiterinnen im Deutschen Reich hinter uns. Wir reisen schnell durch die unsägliche Zeit des Nationalsozialismus. Wir grüßen noch einmal unsere Pionierinnen im Nachkriegsdeutschland: Marie-Luise Leutrum-zu Ertingen vom DLV, Ria Seelbach aus Hannover vom NLV und Frl. Katharina Dremel von der Landwirtschaftsschule in Osterholz. Und wir ziehen auch nochmal vorbei an all` unseren Vorsitzenden, stellvertretend für „75 Jahre Rader Landfrauen“: vorbei an Elfriede Dettmer, Berta Wahls und Hanna Illies (die Namen klingen auch heute noch bekannt) und dann auch schon an Katharine Morisse, die viele noch vor Augen und im Herzen haben. Und dann sind wir auch schon wieder hier im Dorfgemeinschaftshaus und müssen uns nicht mühsam erinnern, sondern feiern noch immer mit euch gemeinsam: Magrit Mattfeld und Anne-Katrin Bullwinkel.
Und dann endet unsere Reise „75 Jahre und mehr in der Geschichte hin und zurück“ natürlich hier bei uns und bei unserem Leitungsteam Barbara, Michaela und Ulrike!
„Tags Arbeit – abends Gäste, saure Wochen – frohe Feste!“ – „Auf dem Land und mitten im Leben“ das sind wir LandFrauen Rade und Umgebung. Weiter so und vielen Dank!
(Text und Vortrag von Claudia Körber zum 75. Jubiläum am 24.02.2024)